Das kindliche Spiel – viel mehr als nur „Spielerei“ Teil 1
„Die Quelle alles GUTEN liegt im Spiel“ -Friedrich Fröbel
Na was hast du heute im Kindergarten gemacht? „GESPIELT“
Diesen Satz habe ich in meiner Tätigkeit als Erzieherin schon oft gehört. Meist wurde er von den Eltern in der Garderobe an das Kind gestellt, während es sich gerade anzieht.
Natürlich habe ich diese Frage als Mutter auch selbst schon des Öfteren von mir gegeben.
Die Antwort der Kinder, egal ob es die Kinder im Kindergarten oder meine eigenen waren, war zu 99% die gleiche: „gespielt“. Damit war die Antwort des Kindes meist beendet denn es hat ja alles was es gemacht hat, präzise auf den Punkt gebracht.
Manche Eltern reagierten nicht sehr erfreulich darauf, war es ihnen doch so wichtig, dass es im Kindergarten etwas lernt.
Was diesen Eltern oft einfach nicht bewusst war, Kinder lernen nirgends besser als im Spiel.
Denn beim Spielen entwickeln Kinder ihre geistigen Fähigkeiten. Kinder lernen im Spiel.
Zu spielen ist so etwas wie der Beruf des Kindes. Beim Spielen lernt es, wie die Welt funktioniert und wie man sich in ihr zurechtfindet. Kinder lernen besonders intensiv, wenn sie sich aus ihrem eigenen Interesse heraus beschäftigen können.
Spielen ist die ureigenste Tätigkeit des Menschen
Bereits Babys spielen, während sie scheinbar ruhig in ihrer Wiege liegen. Das erste Spielmaterial ist ihr eigener Körper. Hände und Füße werden entdeckt und genaustens erkundet.
Was einfach nur nach viel Spaß aussieht, hat tatsächlich eine ganze Menge Sinn.
Im Spiel eignet sich das Kind nicht nur wichtiges Wissen darüber an, wie die Welt um es herum funktioniert, sondern es lernt seine eigenen Stärken kennen und ganz nebenbei werden im Spiel, mit anderen, auch soziale Fähigkeiten erworben.
„Spiel ist die höchste Form der Kindesentwicklung“ -Friedrich Fröbel
Besonders in den ersten Lebensjahren verändert sich das spielerische Verhalten der Kleinen. Sie durchlaufen verschiedene Formen des Spiels, die mit dem Alter immer komplexer und anspruchsvoller werden und unterschiedliche geistige Fähigkeiten voraussetzen. Auch wenn die Kinder noch so unterschiedlich sind, lassen sich Gemeinsamkeiten in ihrem Spielverhalten erkennen die alle Kinder durchleben.
Im Folgenden findest du die verschiedenen Spielformen kurz zusammengefasst.
Die verschiedene Spielformen
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Das Funktionsspiel
Das Funktionsspiel bzw. sensomotorische Spiel ist die früheste Form des Spiels und die Basis für alle darauffolgenden Spielformen. Es dient dem Verstehen der grundlegenden Funktionen der Welt. Im Mittelpunkt steht dabei als erstes die Bewegung und das Erkunden des eigenen Körpers. Zunächst bewegt der Säugling Arme, Beine, Kopf und Finger noch recht unkoordiniert, lernt aber schon nach wenigen Monaten, die Kontrolle über seine Bewegungen zu übernehmen, nach Gegenständen zu greifen und diese mit Hilfe der Finger, der Zehen und des Mundes zu untersuchen. So lernt es die Beschaffenheit von verschiedenen Gegenständen kennen. Außerdem erfährt das Kind, dass es durch sein Verhalten (greifen, strampeln, Kopf drehen usw.) eine bestimmte Wirkung erzielen und damit seine Umwelt beeinflussen kann. Diese Erfahrungen stärken sein Selbstvertrauen, aber auch seine taktile, visuelle, fein- und grobmotorische sowie auditive Wahrnehmung.
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Das Konstruktionsspiel
Das Bau- und Konstruktionsspiel ist die zweite Spielform, die ein Kind erlernt. Sie baut auf das Funktionsspiel auf, denn hat das Kind sich bereits mit einem Spielmaterial auseinandergesetzt und seine Funktion erkannt, ist es in der Lage gezielt gegenständlich damit zu arbeiten und etwas zu konstruieren. Beim Konstruktionsspiel werden kognitive Fähigkeiten geschult (entwerfen einer Bauidee, statische Überlegungen usw.) aber auch Kreativität und Fantasie kommen zum Einsatz. Nicht zuletzt muss das Kind über die motorischen Fähigkeiten verfügen, um seine Konstruktionsidee umsetzen zu können.
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Das Rollenspiel
Erste Rollenspiele kann man bereits bei Kleinkindern beobachten. Sie ahmen ein Verhalten nach, welches sie sich bei den Eltern abgeschaut haben und begleiten ihr Tun möglicherweise mit passenden Geräuschen (Beispiel: Ein Kind zieht einen Stock hinter sich her und brummt dazu laut, als würde es Staub saugen).
Bei diesem „So-tun-als-ob-Spiel“ nutzen Kleinkinder also bereits Gegenstände und verleihen ihnen temporär eine andere Funktion. Dadurch setzen sie sich mit alltäglichen Beobachtungen und Rollen auseinander, die sie sich bei ihren Bezugspersonen abgeschaut haben. Im Spiel erprobt das Kind Handlungen, die es später braucht, um seinen Alltag zu meistern, kann aber auch negative Gefühle wie Ängste verarbeiten.
Kleinkinder spielen zunächst noch allein oder nebeneinander, manchmal beziehen sie andere Personen mit ein, indem sie ihnen zum Beispiel einen „Sandkuchen“ backen und anbieten. Je besser sich ein Kind verbal äußern kann, desto größer wird die soziale Bedeutung des Rollenspiels. Es ist dann geprägt von Kommunikation und Interaktion. Dadurch stärkt das Kind seine sozialen und sprachlichen Fähigkeiten, denn gerade komplexe Rollenspiele mit mehreren Personen sind selten frei von Konfliktpotenzial. An dieser Stelle geht es darum Problemlösungen zu finden und Kompromisse einzugehen, damit das gemeinsame Spiel fortgesetzt werden kann.
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Das Regelspiel
Regelspiele erfordern ein gewisses Verständnis für Regeln und die Bereitschaft, diese auch einzuhalten.
Erste, ganz einfache Regelspiele, häufig auch Tischspiele, können Kinder ab etwa
2 Jahren spielen. (z.B. „Tempo, kleine Schnecke u.ä.).
Mit dem Gefühl umgehen zu können, zu verlieren, müssen Kinder in der Regel erst lernen. Zum Einstieg eignen sich Regelspiele, bei denen es kein Gewinner gibt, sondern man gemeinsam z.B. gegen das Spiel spielt.
Unsere Jungs haben das Spiel Mein erster Obstgarten in diesem Alter sehr geliebt.
Voraussetzung sind je nach Spiel zudem bestimmte kognitive, sprachliche, soziale, feinmotorische und/oder emotionale Kompetenzen.
Merkmale des Regelspiels:
- Die Regeln und der Ablauf des Spiels sind vorgegeben und gelten für alle Mitspieler gleichermaßen, es sei denn, sie werden einvernehmlich geändert
- Regelspiele verfolgen ein fest definiertes Ziel
- Es gibt Gewinner und Verlierer
Fähigkeiten und Kompetenzen spielerisch erlernen
Im Spiel erwerben Kinder eine hohe Anzahl an Fähigkeiten, die sie für die Schule und auch darüber hinaus brauchen.
Beim Spielen von Regelspielen, wird die Frustrationstoleranz und das Einhalten von Regeln spielerisch gefördert. Beim Bauen und Erstellen der höchsten Bauwerke das logische Denken abverlangt.
Bei einem der bekanntesten Rollenspiele- dem Kaufladenspiel werden die mathematischen Fähigkeiten geübt.
Kreativität, Selbständigkeit und strategisches Denken, sind nur ein paar der unzähligen Fähigkeiten, die im Spiel mit Spass und Freude ganz ohne Zwang und druck erworben werden.
Das Erleben des „Flow“ im Spiel
Wer Kinder hat, konnte den Flow schon sehr oft beobachten, ohne vielleicht genau zu wissen, was da gerade in dem spielenden Kind, das sich durchs nichts ablenken lässt und scheinbar nichts um sich herum wahrnimmt, geschieht.
Vielleicht geht es dir so wie mir, und du kommst beim Lesen eines spannenden Buches in den Flow.
Mein Mann beschwert sich dann immer, dass ich nichts mehr um mich herum mitbekomme.
Auch nicht, wenn er mich anspricht 😊
Ich kann mich noch heute an ein paar intensive Spielerlebnisse erinnern, bei denen ich im Flow war. Wenn ich mich daran zurückerinnere, fühle ich noch immer dieses intensive Gefühl, ich kann die Gerüche und Geräusche sogar noch wahrnehmen.
Der amerikanisch-ungarische Psychologe und Philosoph Mihály Csíkszentmihályi prägte den Begriff des „Flow“.
Der Flow =Zustand höchster Konzentration und völliger Versunkenheit in eine Tätigkeit
Kinder erleben den Flow im Spiel.
Wenn Kinder ungestört in ihrem Spiel nachgehen können dann versinken sie in ihrem Spiel oder in der Tätigkeit und vergessen das Drumherum.
Im Flow Spüren, begreifen, erleben und lernen die Kleinkinder ganz intensiv. Sie entwickeln neue Ideen, forschen und experimentieren. Sie sind in diesem Moment ganz bei sich und sie können einfach nur tun. Wir können sie beobachten und sie zu unserem Vorbild machen. Bereits Babys haben die Eigenschaft, alles um sich herum zu vergessen und sich intensiv dem zu widmen, was ihre Aufmerksamkeit gerade anzieht.
Oft reißen wir die Kinder gerade aus diesem Zustand raus, obwohl gerade dieser Zustand so elementar wichtig für das ganze Leben ist, um mit viel Freude, Konzentration und Begeisterung Aufgaben zu meistern.
Durch das häufige raus reißen verlernen die Kleinen mit der Zeit in völliger Versunkenheit in einer Tätigkeit zu sein meist wieder und wir beschweren uns darüber, dass sie sich nicht lange auf etwas konzentrieren können. Erwachsene haben die Fähigkeit in einen Flow zu kommen meist leider komplett verlernt.
Wäre das Leben nicht so viel einfacher, wenn wir es so oft wie möglich im Flow erleben könnten?
Sollten wir nicht viel sensibler darauf achten, wann unsere Kinder gerade einen Flow erleben, um ihnen diese Fähigkeit zu erhalten, damit sie auch als Erwachsene davon profitieren können?
Wie kann man sein Kind beim Spielen und somit Lernen begleiten und unterstützen?
- Eine Umgebung schaffen, die zum Experimentieren anregt.
- Spielmaterial nach Alter und Interesse anregend vorbereiten und austauschen.
- Aktiv im Alltag „Spielzeit“ einbauen in dem das Kind ungestört selbst aktiv werden kann.
- Durch Impulse das Kind in das Spiel begleiten aber dann auch wieder zurückziehen, wenn es ins Spiel gefunden hat.
- Gegenstände zu Verfügung stellen, die das Kind auch bei uns Erwachsen beobachtet, denn das weckt besonders den Forscher Geist der Kleinen.
- Das Kind immer mal wieder aktiv beim Spielen beobachten (ohne Handy oder sonstigen Ablenkungen) -Kinder lieben es selbst aktiv zu werden aber gleichzeitig zu spüren, meine Mama/mein Papa ist da.
- Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes haben und ihm auch etwas zutrauen. Nur dann entwickeln die Kinder einen Glauben an sich selbst und trauen sich etwas zu.
- Geduldig sein und Kinder auch mal „Fehler“ machen lassen. Ganz nach dem Sprichwort „durch Fehler lernt man“.
Wie kann das Wissen über die Wichtigkeit des kindlichen Spiels den Alltag erleichtern?
Wenn du dir als Mama darüber bewusst bist, wie wichtig das Spielen für dein Kind ist und das Spielen Lernen bedeutet, dann kannst du euren Alltag entschleunigen.
Was meine ich damit? Ich meine damit, dass dein Kind kein von dir angepasstes Lernprogramm braucht, auch kein pädagogisch wertvolles Lernspielzeug. Kein „7 to 7“ Spaß Programm in der eine Aktivität die nächste Jagt. In der du dich ständig wie ein Animateur im Kidsclub im Home- Hotel fühlst.
Auch kannst du den Druck rausnehmen, dass du deinem Kind diese und jene Aktivität bieten musst, damit es was lernt und sich bestmöglich entwickelt, sondern so viel Zeit wie möglich zum Spielen.
Du kannst dich entspannen und es genießen, wenn dein Kind mal wieder den ganzen Tag „nur spielt“.
Kennst du vielleicht so eine ähnliche wie die folgende Situation?
Ihr wart einen ganzen Samstag zuhause und habt nichts gemacht? Außer 2 Stunden in den Garten war nichts drin, da du so viel mit Haushalt usw. zu tun hattest.
Am Abend kommt das schlechte Gewissen. Jetzt waren wir gar nicht Hier oder Dort haben nicht dies oder das gemacht. Du fühlst dich schlecht, planst für morgen den größten Ausflug. Gleich morgens soll es los gehen. Und was ist mit deinem Kind? Wie fühlt es sich? Glücklich und zufrieden liegt es im Bett. Es erfreut sich gedanklich nochmal daran, wie es mit den tollen Bauklötzen den höchsten Turm gebaut hat, ohne dabei gestört zu werden. Es fühlt noch immer das Gefühl von Stolz beim Gedanken an den hohen Turm, der sonst immer umgefallen ist. Es erinnert sich wie es im Sandkasten die tolle Matschsuppe gekocht hat und jetzt zum Schluss noch begonnen hat mit seinen Tieren einen Bauernhof aufzubauen. Es freut sich schon jetzt darauf nach dem Aufstehen wieder so einen tollen Tag zu erleben und das Abenteuer mit dem Bauernhof weiter zu erleben.
Es hatte also einen wunderschönen Tag bei dem es spielerisch viele tolle Dinge gelernt hat. In dem es vertieft ins Spiel eintauchen konnte, ohne gestört zu werden.
Das Letzte, dass du also haben solltest ist ein schlechtes Gewissen.
Ich wiederhole es nochmal. Je mehr du dir darüber bewusst wirst, wie wichtig das kindliche Spiel ist, umso mehr kannst du den Druck raus nehmen und deinem Kind Zeit und Raum zum spielen einräumen. Und jedes Mal, wenn du dein Kind fragst:“ Na was hast du heute gemacht? Und es Antwortet: „ich habe gespielt“ kannst du einen Luftsprung vor Freude mit ihm machen 😊
Zum Abschluss noch ein Buchtipp in dem das Thema Spiel und dessen Wichtigkeit sehr klar auf den Punkt gebracht wird: Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist
„Das Spielzeug an sich ist Nebensache, die fantasievolle Beschäftigung damit ist alles.“ Peter Rosegger (1843-1918), Österreichischer Schriftsteller
Ich wünsche euch viel Spaß beim Spielen 😊 Nadja